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Zitate aus „Am Ufer der Donau“

"Am Ufer der Donau" - Nachwort, S. 199-206.
ZITAT
NACHWORT



   Endre Ady, der große ungarische Dichter und Revolutionär, dessen Schaffen in die Zeit der Jahr-hundertwende fiel, sagte in seinem Jakobinerlied schmerzgequält: „Ungarn, du Land gramvoller Bettler!“
   Wer das feudale Ungarn so erlebte, wie es wirklich war, und nicht dem trügerischen Operettenkitsch und der verlogenen Pußta-Romantik zum Opfer fiel, der kann den tiefen Sinn dieses Dichterwortes ganz begreifen. Er begreift, daß das fleißige, stolze ungarische Volk Generationen hindurch in der schmachvollsten Unterdrückung durch die eigene, feudale Herrenclique leben mußte, daß es die Taschen der verkommenen Großgrundbesitzer füllte, während es selbst ein elendes Leben führte, und daß es in seiner Gesamtheit noch dazu für die Habsburger Monarchie ein halbkoloniales Ausbeutungsobjekt darstellte.
   Ungarn war bis zu seiner Befreiung durch die Sowjetarmee im Jahre 1944 ein rückständiges Agrarland, ein Land, das fast keine eigene Industrie besaß, und dessen Lebensstandard noch erheblich unter dem Durchschnitt der kapitalistischen Staaten Europas lag.
   Erst der volksdemokratische Staat beseitigte die verrotteten Fundamente der Ausbeutung und Unterdrückung. Er richtete sein Hauptaugenmerk darauf, eine moderne und leistungsfähige Industrie aufzubauen und die Agrarwirtschaft durch die breite Anwendung der neuen Technik zu weit größeren Erträgen als bisher zu bringen.
   Die Machtergreifung durch die mit den Millionen der werktätigen Bauernschaft verbündete Arbeiterklasse schuf in Ungarn für die politische und wirtschaftliche Entwicklung neue historische Möglichkeiten. Die ungarische Arbeiterklasse konnte im Besitz der Staatsgewalt in kurzer Zeit auf dem Gebiete der wirtschaftlichen Entwicklung und der Industrialisierung des Landes das vollbringen, wozu die ungarische Bourgeoisie Jahrzehnte hindurch nicht fähig war. So ist es heute eine Tatsache, daß der Anteil der Industrie am Nationaleinkommen, der 1938 noch weit unter dem der Landwirtschaft lag, bereits weitaus höher ist, als derjenige der Landwirtschaft. Das heißt, daß in Ungarn in den vergangenen Jahren eine leistungsfähige Industrie völlig neu entstand. Es entstanden Fabrikationszweige, von denen man früher in Ungarn nur träumen konnte. Ungarn betreibt einen großen Warenexport. Und es sind schon lange nicht mehr nur die Erzeugnisse seiner Landwirtschaft, der weltbekannte Wein, das Obst, Fleischwaren oder Feldfrüchte, die das Land exportiert; es sind in starkem Maße heute bereits technische Artikel, Präzisionsinstrumente der Elektrotechnik und der Optik, es sind Fahrzeuge und Maschinen, Werkzeuge, Textilien und Chemikalien. All das aber war nur möglich, weil das ungarische Volk seine Industrie planmäßig und systematisch aufbaute und weiter aufbaut. Dabei ist die Hauptaufgabe der Aufbau einer modernen Schwerindustrie, die es vor der Befreiung so gut wie nicht gab.
   Daß die Landwirtschaft, die für den nationalen Wohlstand des ungarischen Volkes nach wie vor natürlich eine große Rolle spielt, im Zuge der Entwicklung keineswegs vernachlässigt wird, ist selbstverständlich. Das wurde durch die Beschlüsse der ungarischen Regierung und der Partei der Werktätigen im Juni 1953 erneut bewiesen. Unzulässige Überspitzungen der schwerindustriellen Entwick-lung wurden zugunsten der Konsumgüterindustrie und der Stärkung der Landwirtschaft revidiert. Diese selbstkritische Kursänderung der Volksrepublik Ungarn bedeutet aber natürlich keineswegs, daß die erzielten großen Erfolge im schwerindustriellen Wirtschaftssektor rückgängig gemacht werden sollten. Im Gegenteil! Das ungarische Volk ist stolz auf die Errungenschaften der vergangenen Jahre und setzt den sozialistischen Aufbau auf allen Gebieten der Volkswirtschaft unbeirrt fort.
   Mit dem Buch „Am Ufer der Donau“ liegt vor dem deutschen Leser ein literarisches Werk, das sich mit dem Leben der Menschen beschäftigt, die Ungarns Schwerindustrie aufbauen. Es bietet uns Einblick in eine bestimmte historische Etappe der Entwicklung des Landes, in die Periode der Anfänge des Aufbaues der Schwerindustrie.
   Am Ufer der Donau, nicht sehr weit von Budapest entfernt, lag einmal das Dorf Dunapentele. Es war ein kleines, wenig entwickeltes Dörfchen in einer verlassenen Gegend, die noch dazu nichts von dem typischen Reiz der ungarischen Landschaft besaß, sondern kahl, unfreundlich und schmutzig war, einer Wüste glich.
   Im Jahre 1949 beschloß die Regierung Ungarns, dort, wo das Dörfchen Dunapentele lag, das größte, wichtigste und modernste Industriewerk des Landes aufzubauen, ein Eisenhüttenkombinat, das sich über eine Fläche erstrecken sollte, die 193 Quadratkilometer betrug. Das Projekt wurde zur Wirklichkeit. Es entstand ein mit allen Mitteln der neuzeitlichen Technik ausgestattetes Hüttenkombinat und eine moderne Industrie-Großstadt, es entstand das Vorbild und Muster der sozialistischen Industrie für das ganze Land und die erste sozialistische Großstadt. Beide Schöpfungen tragen heute den Namen Stalins, dem das ungarische Volk seine Befreiung aus der jahrhundertelangen Knechtschaft verdankt. „Sztálinváros“ – Stalinstadt – das steht heute noch nicht auf allen Landkarten, dafür aber ist es blutvoller und lebensfreudiger, glücklicher und zukunftsfroher, als alles, was an Städten in den alten ungarischen Landkarten verzeichnet ist. Heute schon arbeitet der größte Teil des Werkes, und in der Stadt, in ihren hellen Gebäuden, ihren schmucken Parks und in den herrlichen Clubs kann man dem neuen Typ des ungarischen Menschen begegnen: jenem Menschen, der voller Zuversicht an der sozialistischen Zukunft seines Heimatlandes baut, und den das neue Leben, das unter seinen eigenen Händen wächst, zu einem neuen, stolzen und selbstbewußten Menschen erzieht.
   Als der riesige Bauplatz am Ufer der Donau abgesteckt war, kamen aus allen Teilen des Landes die ersten Arbeiter, um mit dem Werk zu beginnen. Es kamen Menschen, die in ihrem ganzen Leben nichts weiter gekannt hatten, als die schonungslose Ausbeutung und die Willkür der Besitzenden, Menschen, die nie im Leben auch nur ein gutes Wort gehört hatten, von denen viele weder lesen noch schreiben konnten und sich vor den vielen neuen Maschinen fürchteten, die sich bekreuzigten, wenn die Kräne ihre Arme in den Bummel schwenkten und die Bagger die Erdrinde aufrissen.
   Diese erste, schwere Etappe des Aufbaues von Sztálinváros, die in vielen Einzelheiten dem heroischen Aufbau von Komsomolsk, der Stadt am Amur gleicht, finden wir literarisch gestaltet in den Erzählungen der Schriftstellerin Boris Palotai.
   Ich selbst lernte die Autorin dort kennen, wo dieses Buch entstanden ist, unter den Arbeitern der in ihrem Flächenausmaß riesigen Stadt, die ihr Buch lasen und sich selbst wiedererkannten. Eine lustige, temperamentvolle Frau, die als Schriftstellerin selbst monatelang am Aufbau des Werkes teilgenommen hat, die das Wachsen des neuen Menschen miterlebte, und ihm mit ihrer literarischen Arbeit half, ihm zur Seite stand, ihn unterstützte.
   Boris Palotai ist eine sehr bekannte ungarische Schriftstellerin. Auch in Deutschland ist sie nach der Übersetzung ihres Romans „Frau Puskás“ keine Unbekannte mehr.
   Ihr Leben ist geradezu typisch für das Leben aller Menschen, denen erst die Macht des Volkes die Möglichkeit zur allseitigen, schöpferischen Entfaltung gab. Als Kind armer Eltern war sie eine gute Schülerin, die ihren Kameradinnen bereits Nachhilfestunden gab. Aber ihre durchlöcherten Schuhsohlen und ihre ärmliche Kleidung brachten ihr den Spott und die Fußtritte der reichen, hochnäsigen Klassenkameradinnen ein.
   Schon bald begann sie zu schreiben. Noch in der Schule schrieb sie Kurzgeschichten, von denen eine bereits bei einem Wettbewerb einen Preis erhielt. Später veröffentlichte sie mehrere Romane, Novellen, und schließlich schrieb sie noch im Ungarn Horthys das Drehbuch zu einem Film, der zwar im Ausland mit gutem Erfolg lief, in Ungarn selbst jedoch deshalb vom Programm gestrichen wurde, weil in ihm die Kraft der Arbeiterklasse sichtbar wurde, jene Kraft, die das faschistische Horthy-Regime mit allen Mitteln zu unterdrücken versuchte. Boris Palotai war damals bereits eine Schriftstellerin der Arbeiterklasse. Gleich, ob sie Novellen schrieb, oder Sprechchöre für die Arbeiterbewegung, – ihre schöpferische Kraft stand gegen die herrschende Klasse. Aber erst nach der Befreiung des Landes konnte sich ihr Talent voll entfalten. Alles, was sie von nun an schrieb, beinhaltete den großartigen Optimismus, mit dem das ungarische Volk das neue Leben baut.
   Heute trägt Boris Palotai den Jozsef Attila-Preis und die silberne und die goldene Verdienstmedaille der Volksrepublik. Für ihre journalistischen Arbeiten wurde sie überdies noch mit dem Titel „Verdienter Arbeiter“ ausgezeichnet.
   Sie hat mit ihren Erzählungen über Sztálinváros, die in dem vorliegenden Buch zusammengefaßt sind, den mutigen Pionieren, die den Bau begannen, ein schönes Denkmal gesetzt.
   Sie nimmt sich den einzelnen Menschen, seine inneren und äußeren Konflikte zum Vorwurf, sie zeigt, wie der neue Mensch des sozialistischen Zeitalters geboren wird, wie er unter vielen Hindernissen und Schwierigkeiten sich entwickelt und wächst, wie er zum stolzen Herren des Landes wird.
   Kleine Details sind es, die Boris Palotai aus dem täglichen Leben greift. Manchmal scheinen sie am Rande zu liegen, aber eins ist ihnen gemeinsam: sie sind wahr und ehrlich! Sie geben in ihrer Gesamtheit ein Bild von dem, was die Menschen, die am Ufer der Donau den Bau begannen, bewegte, und sie lassen jeden Leser den Weg erkennen, den das Ungarn von heute, mit dem uns eine enge Freundschaft verbindet, geht. Deshalb also sind die vorliegenden Erzählungen für uns Deutsche nicht lediglich interessant, sondern gleichermaßen auch lehrreich und voller Anregungen. Möge ihre Übertragung ins Deutsche mithelfen, die Freundschaft zum ungarischen Volk zu festigen und zu vertiefen, und möge damit auch der persönliche Wunsch der Autorin erfüllt werden, daß deutsche und ungarische Menschen in brüderlicher Verbundenheit einer neuen, friedlichen Zukunft entgegengehen.

Harry Thürk